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Südkoreas größte Baustellen vor Pyeongchang 2018

Nach Olympia ist vor Olympia: 2018 wollen die südkoreanischen Skispringer im heimischen Pyeognchang vorne mitmischen. Doch noch gibt es viele Baustellen, wie Cheftrainer Wolfgang Hartmann bei skispringen.com verrät.

Nach Olympia ist vor Olympia: Mit dem Ende der Spiele von Sotschi beginnt schon der nächste olympische Vorbereitungszykulus, diesmal auf die Spiele in Pyeongchang 2018 ausgerichtet. Geht es nach dem koreanischen Verband, wird dort auch ein deutscher Trainer für das Gastgeberland im Einsatz sein: Wolfgang Hartmann. Doch der 54-Jährige aus Garmisch-Partenkirchen, der mittlerweile seit anderthalb Jahren als Cheftrainer für das koreanische Skispringen verantwortlich ist, überlegt noch. Denn es gibt viele Baustellen, wie er sagt. skispringen.com-Redakteur Johannes Aigner hat er verraten, welche.

Baustelle 1: Die Strukturen im koreanischen Leistungssport

Hartmann sieht mit den derzeitigen Strukuren im koreanischen Leistungssport "langfristig keine Perspektiven". Besonders die Kadereinteilung stört ihn: "Es gibt zum Beispiel eine Quote für die Nationalmannschaft, die legt der Verband fest, und Skispringen hat eine Quote von vier. Mehr Leute kommen in keine Nationalmannschaft, gleich ob A-, B-, oder Juniorenkader." Es gibt außerdem keine Vereine, im Gegensatz zu europäischen Ländern. Durch die Strukturen fehle es auch an Nachwuchs: "Es ist leider nicht so wie in Japan, wo die Sprungschanzen gleich neben den Schulen stehen. Und die Eltern müssen alles selbst finanzieren, was natürlich auch nur bis zu einer gewissen Grenze möglich ist."

Baustelle 2: Nur eine Schanzenanlage in Südkorea

Derzeit gibt es nur eine sprungbereite Schanze im Land, in Alpensia, wo auch 2018 gesprungen wird. "Aus Trainingsgründen ist das einfach zu wenig", sagt Hartmann. "Du kannst nicht immer nur auf einer Schanze springen, das ist ein Ding der Unmöglichkeit. Außerdem herrscht an der Anlage 24 Stunden am Tag Aufwind zwischen vier und sechs Meter und im Winter werden die Schanzen nicht präpariert. Da kannst du dich zu Tode springen, bis es nicht mehr geht." Alles in allem würden es die fehlenden Schanzen natürlich auch nicht leichter machen, Mädchen und Jungen zum Skispringen zu bringen.

Baustelle 3: Die Nationalmannschaft ist zu dünn besetzt

Und das wirkt sich mehr als deutlich auch auf die Nationalmannschaft aus: Im letzten Jahrzehnt hat sich die personellen Zusammensetzung des A-Kaders kaum verändert. Im Grunde sind seit der Jahrtausendwende immer die gleichen vier Springer im Continentalcup oder Weltcup im Einsatz: Heung-Chul Choi (32), Seou Choi (31), Hyun-Ki Kim (31) und Chil-Ku Kang (29). "Wenn's da einen schmeißt oder wenn einer krank wird oder gar aufhört, ist das Team erledigt", warnt Hartmannn. "Ich hab' immer gesagt: Du brauchst mindestens noch vier Junge hintendran, und dann brauchst du auf alle Fälle noch drei oder vier Mädels, weil es in Pyeongchang ja höchstwahrscheinlich die Premiere des Mixed-Springens geben wird."

Derzeit gibt es laut Hartmann sieben Burschen und drei Mädels im Alter zwischen zwölf und 16, betreut werden sie von Till Feist aus Berchtesgaden. Dem Juniorenkader gehören derzeit drei Springer an, alle um die 20. "Da könnte zwar was gehen in Richtung Pyeongchang, aber auch da hapert's mit dem Geld", klagt Hartmann. "Die haben ein Programm, da kriegen sie drei Wochen Training im Sommer und drei Wochen im Winter bezahlt – und das war's, fertig. Die Strukturen funktionieren so einfach nicht", ist er enttäuscht. "Somit blockiert der koreanische Sport seinen Nachwuchs selbst."

Baustelle 4: Die Finanzierung – und der fehlende Wettkampfrhythmus

Nur die vier Springer im A-Kader sind beruflich angestellt (bei der koreanischen Firma High 1) und damit Vollprofis. Leben können sie von ihrem Gehalt laut Hartmann zwar schon, aber es fehlt das Geld für die Flüge zwischen ihrem Heimatland und dem koreanischen Trainingsstützpunkt in Garmisch-Partenkirchen. "Ein Flug kostet 1.200 Euro hin und zurück. Deshalb müssen die Springer natürlich immer lange Perioden in Deutschland bleiben, sonst können sie es nicht finanzieren", erklärt Hartmann. Optimal wären seiner Meinung nach mehrere Ortswechsel pro Jahr: "Der normale Rhythmus müsste sein, dass die Springer vier oder fünf Wochen nach Europa kommen, und dann gehen sie wieder fünf Wochen heim." So in etwa machen es auch die Japaner. Es gibt einen weiteren Grund, weshalb Hartmann mehr Ortswechsel fordert: Zwei seiner Schützlinge, Seou Choi und Chil-Ku Kang, haben bereits eine Familie, beide sind vor Kurzem Vater geworden. Die beiden Familienväter fliegen nun nach Hause, für sie wäre laut Hartmann die Saison sowieso zu Ende – weil im Weltcup nur zwei Koreaner starten dürfen. "Die anderen zwei könnten im Continentalcup springen, aber dafür hat der Verband wieder nicht genügen Geld", kritisiert er.

Der daraus resultierende fehlende Wettkampfrhythmus mache es dann schwierig, im entscheidenden Moment – zum Beispiel bei Weltmeisterschaften und Olympia – die Leistung abzurufen. "In dem Bezug sind meine Jungs halt leider absolut nicht gefestigt, und das können sie auch nicht sein, so wie es die letzten vier, fünf Jahre war. Da sind sie jeweils vier bis sechs Wochen nach Europa gekommen, haben da drei, vier Wettkämpfe gemacht und dann war eben kein Geld mehr da – und dann waren sie wieder daheim", bemängelt Hartmann. "Da kann man keinen Wettkampfrhythmus und keine Wettkampfhärte entwickeln." Dabei traut er seinen Schützlingen trotz ihres Alters zu, diese Fertigkeiten auch im hohen Springeralter noch zu entwickeln: "Asiaten sind da sehr engagiert. Wenn man denen was sagt, dann setzen sie es auch um", sagt Hartmann.

Baustelle 5: Das kleine Trainer- und Betreuerteam

Das geringe finanzielle Budget macht sich auch in der Größe des Trainerteams in der Nationalmannschaft bemerkbar. Chefcoach Hartmann, der früher selbst aktiver Skispringer war, es aber lediglich auf einen Weltcupeinsatz brachte, war in Sotschi mit seinen vier Schützlingen ganz auf sich alleine gestellt – auch sein sonstiger Co-Trainer durfte nicht mit. "Warum, weiß ich nicht", klagt Hartmann. "Die Franzosen hatten zum Beispiel nur einen Mann am Start – aber der hatte einen Cheftrainer, einen Assistenztrainer und eine Physiotherapeuten dabei. Ich hatte vier Springer da und war alleine", zieht der Oberbayer einen ernüchternden Vergleich. "Da sind halt dann irgendwann Grenzen da. Wenn ich heute im Leistungssport was erreichen will, dann muss ich auch das Personal drumrum haben, die dem Cheftrainer gewisse Dinge abnehmen können."

Dass zum Beispiel ein Servicemann fehlt, das bekamen Hartmann und seinen Athleten besonders unmittelbar vor dem Normalschanzen-Springen in Sotschi zu spüren: "Eine Stunde vor Wettkampfbeginn kam eine SMS vom koreanischen Skiverband, dass das Logo unseres Sponsors auf den Sprunganzügen an eine andere Stelle hin muss. Da mussten wir dann zu fünft an den Anzügen rumbasteln. Wir haben es zwar gerade noch rechtzeitig hinbekommen, aber die Jungs haben sich nur noch den Anzug anziehen können und mussten dann runterspringen. Das war überhaupt keine Wettkampfvorbereitung, und das hat uns auch um bessere Ergebnisse gebracht", ist Hartmann sicher. Diese Begebenheit zeige auch die mangelhafte Kommunikation seitens des Verbandes.

Baustelle 6: Trainings- und Materialumstellung

Der Garmisch-Partenkirchener ist seit seinem Amtsantritt damit beschäftigt, das Training seiner Schützlinge umzustellen und das Material zu optimieren. "Die Jungs hatten die letzten fünf Jahre, bevor ich kam, komplett falsch trainiert. Die Trainingswissenschaft lehrt ja die Periodisierung, dass man alles auf einen bestimmten Punkt ausrichtet und so weiter, und Skispringen ist bekanntlich eine Schnellkraftsportart. Aber in Korea haben sie stattdessen zum Beispiel zwölf Monate lang drei Mal in der Woche Maximalkrafttraining gemacht", sagt Hartmann und schüttelt den Kopf. Das Ergebnis dieses Trainings sei gewesen, dass seine Athleten "Oberschenkel gehabt haben wie Bodybuilder", so Hartmann. "Die konnten gar nicht mehr springen damit."

Zwar hat der 54-jährige Bayer nach der Trainingsumstellung in Sotschi erstmals Früchte seiner Arbeit ausgemacht – vor allem die Plätze 16 und 18 von Hyun-Ki Kim und Seou Choi in der Qualifikation für das Normalschanzenspringen stimmten ihn zufrieden – jedoch sei der Prozess mit der Umstellung noch nicht abgeschlossen: "Das dauert zwei Jahre, bis das richtig drin ist", sagt er. Immerhin: In Sachen Material sind seine Schützlinge nun gut ausgestattet, der Verband erfüllte Hartmanns Forderungen – zum Beispiel, dass die Athleten nicht alles selbst kaufen müssen. "Als ich angefangen habe, war das eine Katastrophe. Die haben Sprungschuhe gehabt, die waren drei Jahre alt. Dann hatten sie zwei Sprunganzüge fürs ganze Jahr. So brauchst du gar nicht anfangen, wenn du skispringen willst", ist Hartmann sicher. "Jetzt passt zwar alles – aber natürlich dauert die Umstellung auch hier." Die Frage ist nur, ob die Unterstützung für das Material in den nächsten Jahren auch so bleibt.

Baustelle 7: Keine konkreten Zielvorgaben seitens des Verbandes

Man merkt es Hartmann an, wenn man sich mit ihm unterhält, dass er ein Konzept hat und klare Vorstellungen, wie er seinen Springern zum Erfolg verhelfen will. Doch umgekehrt vermisst der 54-Jährige eine klare Zielsetzung seitens des koreanischen Verbandes, vor allem im Hinblick auf 2018. "Sie müssen mir nun langsam einmal sagen, was sie dort überhaupt wollen. Dann kann ich ihnen auch sagen, wie man zu diesem Ziel hinkommen könnte", fordert er. Die fehlenden Vorgaben würden zudem zu unrealistischen Erwartungen seitens der koreanischen Medien führen: "Nach den Plätzen 16 und 18 in der Normalschanzen-Qualifikation ist alles auf die Springer eingestürzt, die Medien haben von Medaillenchancen gesprochen. Und das ist halt sowas von unrealistisch, unrealistischer geht's gar nicht", schüttelt Hartmann den Kopf.

Dabei sieht er durchaus das Potenzial, dass auch seine derzeit besten vier Springer bei den Spielen in Pyeongchang für Überraschungen sorgen könnten – obwohl sie bis zum jetzigen Zeitpunkt ihrer Karriere kaum nennenswerte Erfolge verbuchen konnten und 2018 allesamt bereits mitte Dreißig wären. "Ich sehe halt die ganze technische Entwicklung der letzten anderthalb Jahre mit der Steigerung jetzt in Sotschi", sagt Hartmann. "Und ich sehe auch, was sie im Training oft bringen, wenn wir im internationalen Vergleich trainieren." An hohen Zielen und Optimismus, was das Leitungsvermögen seiner Truppe angeht, mangelt es ihm jedenfalls nicht: "Natürlich haben die großen Nationen einen Vorteil. Aber ich sage immer, auf der Normalschanze kann eigentlich alles passieren. Es ist, denke ich, schon ein realistisches Ziel, wenn ich sage, man könnte 2018 unter die besten Fünf reinspringen, wenn der Verband die richtigen Weichen stellt."

Hartmann: "Werde knüppelharte Gespräche führen"

Eine klare Ansage – und genauso klar und deutlich möchte Hartmann nun nach der Saison mit dem Verband ins Gespräch kommen. "Ich werde knüppelharte Gespräche führen", kündigt er an. Mit wem genau, steht indes noch nicht fest – denn der koreanische Verband ist derzeit führungslos, der Präsident ist vor Kurzem zurückgetreten. Doch Hartmann ist guter Dinge, was das anbelangt – und er möchte im Prinzip eigentlich nicht weg aus Südkorea: "Es ist ein wunderschönes Land mit freundlichen, offenen Menschen. Die Mentalität ist halt anders, und das macht es von den Strukturen her manchmal schwierig. Aber die Mannschaft ist super, ich habe noch nie solche Leute gehabt, so freundlich, ehrgeizig, motiviert", schwärmt Hartmann.

Doch für ihn reicht das natürlich nicht als Trainer, er fordert: "Es muss jetzt einfach mal das Zehnerl fallen beim Skiverband – wir haben bald Olympische Spiele, wir müssen was machen."



Skispringen.com, 17.03.2014


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